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Drachenbodem

von Aina Brummer-Roig, Lasse Nadolny, Mila Peter, Laurin Zemke, Zehra Aydin und
Henry Richtmann

Es war eine dunkle, stürmische Nacht. Maki, der sich in einen Affen verwandeln konnte, fand keine Ruhe. Er hatte seit der letzten Nacht ziemlich schlimme Albträume gehabt. Die Geschichte, die ihm Meister Takwu, der in einem Kloster ganz in der Nähe wohnte, erzählt hatte, ließ ihn einfach nicht mehr los. Sie war beängstigend gewesen. In der Geschichte ging es um furchterregende Monster, die vor langer Zeit das Dorf, in dem Maki lebte, eingenommen hatten.

Ein Held hatte damals alle Dorfbewohner gerettet, trotzdem war die Geschichte schrecklich gewesen. Also ging Maki zum Meister. Dieser schlief nicht, wie Maki es erwartet hatte, sondern meditierte auf dem Fußboden. Tosende Winde brauten Stürme in brodelnden Wolkenkesseln, als Maki über den finsteren Hof schlich und aus den blauen Flammenwurzeln herabzuckender Blitze stiegen rote Funkenstürme empor.

˒Was ist hier nur los?ʿ, dachte Maki.

Er musste an Meister Takwus Geschichte denken. In dieser war alles genauso passiert.

˒Übernehmen die Monster gerade wieder das Dorf?ʿ, fragte er sich.

Plötzlich hörte Maki ein Knacken. Ein roter Blitz zischte durch die Luft. Er erschrak. Hinter sich vernahm er ein fürchterliches Grunzen. Er drehte sich um und sah einen mittelgroßen, rot geschuppten Drachen vor sich. Der Drache blickte ihn an und begann zu brüllen. Dabei entblößte er eine Reihe scharfer, spitzer Zähne.

Erschrocken stolperte Maki ein paar Schritte zurück. Dabei übersah er einen Stein und stürzte zu Boden. Er versuchte, sich robbend in Sicherheit zu bringen, doch er war zu langsam. Das Ungeheuer kam immer näher.

Der Drache schnaubte und wankte mit seinem mächtigen Körper gefährlich hin und her. Dabei schossen ein paar Flammen aus seinen aufgeblähten Nüstern.

Feuriger Brodem löste sich aus dem lavatriefenden Rachen des Ungeheuers und fegte knisternd durch die Nacht. Maki stand auf und rannte los. Er versuchte, dem Lavastrom zu entkommen. Mit einem Blitz verwandelte sich Maki mitten in einem Sprung in einen Affen und flog viel weiter, als er es sich erhofft hatte. Auf einmal stürzte Meister Takwu herbei und schlug mit seinem Kampfstab auf das Maul des Drachen, das dadurch zuschnappte.

Maki entwischte nur knapp, doch der Drache ließ nicht nach. Sein großes Maul näherte sich erneut Maki, der immer noch in seiner Affenform steckte. Er sprang von einer Stelle zur anderen und versuchte so, dem Drachen zu entkommen. Dann kniff er die Augen zusammen. Als Maki sie wieder öffnete, bemerkte er, dass er sich im Krankenzimmer des Tempels von Takwu befand.

Neben ihm saß der Meister und sah ihn besorgt an. „Wie geht es dir?“, fragte er. Verwirrt schaute Maki sich um und nachdem langsam die Erinnerungen zurückkamen, fragte er sich: ˒War das gerade wirklich passiert?ʿ

Da bemerkte Maki, dass seine Augen immer noch geschlossen waren. Als er sie ein zweites Mal öffnete, sah er noch einmal verschwommen den Drachen, dann wurde alles schwarz. Maki war tot.

Als er das nächste Mal aufwachte, sah er nur etwas Weißes vor sich – weiße Säulen und einen weißen Tempel.  Maki dachte sich: ˌWenn ich wirklich tot bin, dann ist der Tod schöner als das Leben.ʿ

Urplötzlich brannte ein verzehrender Schmerz in Makis Gliedern. Die Säulen loderten auf und verblassten zu dem gleißenden Feuer des Drachenatems, das ihm das Fleisch von den Knochen brannte.

ˌWar er in der Hölle gelandet?ʿ, fragte sich Maki.

Doch dann erkannte er den Tempel vom Meister Takwu. Maki befand sich in seiner Menschengestalt und lag am Boden. Er war noch am Leben.

Von blutenden Wunden gegeißelt drehte sich Maki auf die schmerzenden Rippen und stemmte sich mit seinen aufgeschürften Armen hoch.

Halb bewusstlos blieb er noch eine Weile auf dem kalten Boden des Hofes liegen, bis seine Schmerzen nachließen.

Um schneller wieder nachhause in sein Dorf zu gelangen, wollte sich Maki in einen Affen verwandeln, doch dies gelang ihm aus unerfindlichen Gründen nicht.

In dem von schwarzen Rändern zerfressenen Bilderstrom seiner Augen erahnte er eine affenartige Geistergestalt, die seinem Körper entwich wie qualmender Rauch und dampfend über seine Haut strich.

So schnell, wie es kam, verschwand es wieder. Bevor er überhaupt erst einen klaren Gedanken fassen konnte, eilte auch schon Meister Takwu auf ihn zu. Er blickte ihn an und schien sich sehr zu freuen, dass er wieder da war.

Maki fiel wieder ein, warum er zu Meister Takwu gegangen war.

Er hatte geträumt, dass Monster sein Dorf angegriffen und ein Held alle Bewohner gerettet hatte. Nun wollte er wissen, wer der geheimnisvolle Held gewesen war.

„Du hattest Albträume, nicht wahr?“ fragte Meister Takwu. „Ja“, antwortete Maki. „Aber du brauchst keine Angst zu haben“, sagte der Meister. „Der Held ist immer unter uns. Ich bin es.“

„Warum hast du das Dorf gerettet?“, fragte Maki. „Das geschah doch nicht ohne Grund oder?“

„Angeblich steckte ein gewisser Drachenwandler hinter den Angriffen auf das Dorf“, antwortete Takwu. „Er hieß Cometa und war mein Freund, bevor er das Dorf verriet. Aber diesen Drachenwandler habe ich lange nicht mehr gesehen.“ Takwu senkte den Kopf: „Nach dem gestrigen Angriff dachte ich, er wäre wieder da. Aber das war nur ein Trugbild. Es gibt auch ohne den Drachenwandler immer noch Drachen in unserer Gegend, die gelegentlich das Dorf angreifen.“

Der Meister ließ einen schmerzerfüllten Blick über die Landschaft gleiten und fügte mit bitterer Stimme hinzu: „Cometa schürfte zu tief in den Quellen der Macht. Seine Gier trieb ihn in den Wahnsinn und fesselte ihn im Körper des Drachenkönigs. Seit seinem Sturz jage ich den Drachen, auf der Suche nach Cometa, einem Freund und Bruder. Es ist eine Geschichte des Leids und der Qual, aber das Gute sucht die Helden nicht heim, es hintergeht sie und stürzt sie in den Abgrund des Ruhms.“

Maki sah ihn für einen kurzen Moment an und ließ die weisen Worte Takwus auf sich wirken. „Das tut mir leid, Meister“, sagte er. Takwu versuchte, die Mundwinkel etwas nach oben zu ziehen und erwiderte. „Das Leben ist immer voller Überraschungen. Manchmal ist es wie ein gutes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann.“